Funktion wird laut These durch die Konnektomfasern (verkettete Fliesgleichgewichte) realisiert. Auch ein Engramm ist eine Funktion.

Das Bahnmodell kontra Großmutterneuron
Auszüge davon in Gehirn&Geist, Heft 12/2005, Eine für Brad, eine für Bill

Es wäre so schön einfach, da ist ein Engramm und dort ist das Neuron oder Neuronengruppe, welche das Engramm speichert (Stichwort: Großmutterneuron).

Hier wird mittels eines Modells eine andere Speicherform erklärt. Das Modell, das so genannte Bahnmodell, ist ein Hilfsmittel. Um etwas zu verstehen, bedarf es Bilder, Eselsbrücken, ähnliche und schon bekannte Vorstellungen, um von diesen ins Neuland vorzudringen. Deshalb das folgende Bahnmodell:

Ein Zug fährt von Rostock nach München. Wodurch wird die Streckenführung festgelegt? Antwort: Durch die (zeitweilig) gestellten Weichen auf der ganzen Strecke. Nicht die Weichen des Hauptbahnhofes Leipzig entscheiden, sondern alle Weichen auf der Strecke. Der Zugführer fährt einfach los und wird durch die gestellten Weichen wie von Geisterhand zum Ziel, zur Endstation, gelenkt. Eine Weiche irgendwo umgelegt und er Zug endet in Stuttgart anstelle München. Jede einzelne Weiche hat ihren (kleinen) Anteil. Also ist die Strecke im gesamten Bahnnetz abgelegt! Es reicht nicht, die Weichen des Leipziger Bahnhofs (= strukturell sichtbares Zentrum) zu kennen.

Dieses Modell aus das Gehirn übertragen ergibt:

  1. Im Gehirn rasen ständig Erregungen auf vorgeprägten Bahnen. Diese beginnen normalerweise bei den Rezeptoren und enden an den Erfolgsorganen. Der Rezeptor feuert einfach, weis nicht, wo die Bahnung endet. Wie beim Bahnmodell ist der Weg determiniert durch synaptische Verbindungen. Jede einzelne Synapse hat ihren kleinen Anteil.
  2. Wohin die Züge fahren, also wo diese ankommen, wird durch die Weichen festgelegt. Im Gehirn entsprechen diese Weichen hauptsächlich den Synapsen. Der Zugführer braucht das Ziel nicht zu kennen. Trotzdem endet der Zug in München.
  3. Etliche Züge kreuzen sich oder benutzen auf Teilstrecken eine Bahnlinie. Letzteres ist effizient.
  4. Bei Kollisionskurs müssen Züge warten (z.B. Haltesignal - im Gehirn nennt man dies Inhibition) und die Züge können erst später weiter fahren.
  5. Nach der Durchfahrt eines Hauptzuges, fahren Regionalbahnen. Alles ist vernetzt. Aber eben nicht zufällig, sondern aufwendig geordnet.
  6. Bei viel Bedarf fahren mehrere Züge hintereinander, die Strecke wird ausgebaut usw.
  7. Mit geringem Aufwand, eine Weiche umgestellt, und schon fährt der Zug in eine ganz andere Richtung. So kann eine Weiche entscheiden, ob der Zug nach München oder Stuttgart fährt. Der Aufwand zur Umstellung ist gering.
  8. Ohne Analysezentrum erreicht der Zug sein Ziel. Bei Entscheidungen hat das Gehirn auch keine Zeit. Die Erregung rast einfach entlang den vorab eingestellten Bahnen. So ist in Millisekunden eine Entscheidung möglich. Wäre ein Analysezentrum dazwischen, ähnlich wie beim Computer, würde die Entscheidung dauern.
  9. Wenn ein Bahnhof (z.B. der Leipziger Bahnhof) zerstört wurde, so können momentan etliche Züge ihr Ziel nicht erreichen. Aber dann wird umgeleitet und eine andere Strecke ausgebaut. Die Züge fahren jetzt eben über Gera. Das Bahnnetz funktioniert wieder.
  10. Manche Züge fahren auf Umwegen. So ist Erfurt von Plauen aus über Leipzig zu erreichen. Dies entspricht einen Umweg von ca. 100 km. Das Bahnnetz hat eben seine Entstehungsgeschichte und Änderungen berühren viele Strecken. Auch im Gehirn laufen viele Erregungsbahnen umständlich zum Ziel.
  11. Wenn eine Zuglinie geändert wird (Abfahrtszeit, Streckenführung), so hat dies Auswirkungen auch auf die Nebenlinien. Auch dort müssen wegen der Effektivität die Abfahrtzeiten geändert werden. Durch die Änderung einer Linie ist die Effizienz des Netzes verletzt. Es bedarf Nachbesserungen. Und da wieder eine wichtige Aussage: Dies wird erst ersichtlich, wenn die Züge fahren. Erst durch die Aktivität werden Fehler sichtbar und damit korrigierbar. Bis alles wieder optimal funktioniert, dauert es.
  12. Die Züge fahren auf den Schienen und Weichen. Also determinieren die Schienen und Weichen. Dies ist falsch. Der Erfolg der Züge ist primär. Der Bedarf an Zügen bestimmt die Wegführung und Weichenstellung. Entsprechend wird umgebaut.

Folgerungen

  1. Engramme sind in Erregungsbahnen präsent. Also verteilt auf der gesamten Strecke, in den Erregungsbahnen.
  2. Die Kapazität ist bei dieser Art Speicherung im Vergleich zur Großmutterneuron-Speicherung weit überlegen. Die möglichen Varianten der Weichenstellungen (Synapsen) sind nahezu unendlich.
  3. Durch die Verteilung eines Engramms im gesamten Netz zwängt sich der Hologrammgedanke auf. Also eine absichtliche Streuung eines Engramms (auch genannt: verteilte Repräsentation). Das Bahnmodell zeigt zwar die Streuung, aber es ist keine Hologrammspeicherung.
  4. Die Speicherung eines Engramms ist nicht die Sache einer Zelle (Stichwort: Großmutterneuron) oder eines Proteins (Stichwort: Gedächtnispille), sondern ist verborgen in der Ordnung des Neuronennetzes. Und das Bahnmodell gibt Hinweise wo.
  5. Wenn ein Neuron bei einer Reizsituation, z.B. der Großmutter, feuert, so ist dort ein Knotenpunkt der vielen einzelnen Großmutterzüge. Aber dieses Neuron können auch andere Züge nutzen und es kann bzgl. der Großmutter noch andere Kontenpunkte geben. Und wenn sich die Großmutter ändert (z.B. gefärbte Haare), so treffen sich die Züge an anderer Stelle im Netz. Die Bahn für rote Haare fährt nun anders und trifft an anderer Stelle auf weitere "Großmutterzüge".
  6. Im Bahnnetz fährt der Zug von einer Stelle (z.B. Gleis 4 in Rostock) ab. Im Gehirn ergibt sich der Zug aus den Feuern vieler Sinneszellen. Der Zug wird im Gehirn durch spezielle Erregungsbahnen determiniert.
  7. Schon im Auge beginnt die Nutzung einer Bahnlinie für verschiedene Züge. 125 Millionen Lichtsinneszellen werden durch "nur" eine Million Nervenfaser im Sehnerv geleitet.
  8. Bei der Bundesbahn warten Anschlusszüge. So steigen Fahrgäste in Leipzig aus, um mit einem anderen Zug Erfurt zu erreichen. Auch wenn nur wenige Fahrgäste nach Erfurt einsteigen, der Anschlusszug fährt planmäßig. Im Gehirn ist dies anders. Erst wenn sich eine bestimmte Menge an Fahrgästen sich angesammelt hat, fährt der Anschlusszug nach Erfurt. Die biologischen Begriffe Reizschwelle und Feuern beschreiben diese Zustände. Was passiert mit den Passagieren, die auf den Anschlusszug warten? Wer sind die Passagiere im Neuronennetz? Antwort: Diese sind strukturell sichtbar als Transmitter in den Vesikeln. Wenn die Reizschelle sinkt, können diese Züge abfahren mit wenigen Passagieren. Die Neuronen feuern und der Zug fährt entlang der gestellten Weichen. Dies Denkansätze für Traum, Erinnern schwacher Engramme und Appetenz.
  9. Im Bahnnetz erfolgt die Transportleistung konservativ. Die Schienen werden bis auf die Abnutzung nicht verändert. Das Neuron leitet hingegen dissipativ. Die Erregung durchläuft eine Kette von Fließgleichgewichten. Nach dem Feuern ist das Neuron verändert. Wie korrigiert das Neuron seine Fließgleichgewichte? Der Zug von Rostock nach München durchläuft im Gehirn eine Kette von Fließgleichgewichten. Folgerung: Die Synapsen (=Weichen) sind nur ein Teil, auch innerhalb eines Neurons werden Weichen gestellt.

engrammd

Wer stellt die Weichen in diesem gigantischen und doch filigranen Netz?

Bei der Bundesbahn sind die Stellwerke für die jeweiligen Weichenstellungen zuständig. Jeder Zug wird überwacht und eventuell Züge gestoppt oder umgeleitet. Neben der Strecke laufen Informationen über Telefonkabel zurück. Auch wird nachkalkuliert: War der Zug von Rostock nach München rentabel ? Oder sollte dieser in Regensburg enden? Also akut fährt der Zug entlang der gestellten Weichen, aber dann wird nachgerechnet und eventuell der Fahrplan und damit die Weichenstellungen korrigiert. Der Fahrplan wird nach dem Bedarf optimiert.

Wer stellt im Gehirn die Weichen? Auch dazu gibt es Denkansätze. Die Neuronen leiten die Erregung, bilden zusammen mit ihren Synapsen das Schienen und Weichennetz. Welche Substanz bleibt übrig? Antwort: die Neuroglia!

Wenn die Glia gemeinsam mit Teilen der Neuronen die Weichen stellen, so ist wiederum manches deutbar:

  1. Die Menge an Neuroglia:
    Bei der Bundesbahn sind pro Zug ein Zugführer und ein Schaffner sichtbar, im Hintergrund arbeiten viele Stellwerker, es wird nachkalkuliert, überwacht usw.
  2. Das Stellwerk erhält viele Informationen, nicht nur von den nahe liegenden Weichen. Auch die Glia hat weit verzweigte Fortsätze. Es ist längst überfällig, die Existenzberechtigung der Glia als Blut-Hirn-Schranke anzuzweifeln. Das Bahnmodell gibt Ansätze, was die Glia wirklich leistet. Schon 1960 schreibt Robert Galambos in A GLIA - NEURAL THEORY OF BRAIN FUNCTION: Die Gliazellen fungieren in irgendeiner unbekannter Weise, um Neuronen zu organisieren. Immer mehr Details werden sichtbar.
  3. In der Literatur wird von intelligenter Glia gesprochen: Die Glia gibt vor und die Neuronen folgen. So doch auch beim Bahnnetz: Das Stellwerk gibt das Signal und die Weiche stellt sich aktiv um.
  4. Und wie erfolgt der Aufbau einer neuen Strecke? Antwort: Indem eine vorhandene Strecke erweitert, Weichen umgestellt, Strecken geteilt, an anderer Stelle Strecken in bestehende Gleise einmünden usw. Und so funktioniert eben auch das Lernen. Eine existierende Strecke wird ausgebaut, mit anderen Zügen verbunden, sukzessive verändert.
  5. Ein Artikel zur Bahn Sensoren überwachen nach jeder Benutzung.. Dies ist Strakturdenken! Erst bei Benutzung der Weichenstellung werden Fehler sichtbar. Deshalb hilft Bewegung/Tun!

Erinnern

Die "Großmutter" besteht aus vielen Zügen. Beim Erinnern fahren einige Züge der Großmutter und erzeugen in Knotenpunkten wartende Passagiere. Ein einzelner Zug hätte wenig erreichen können. Trotzdem reichen die angehäuften Passagiere nicht, um einen Nebenzug abfahren zu lassen. Es reicht nicht zum Feuern. Bei nachfolgender Ruhe sinkt die Aufmerksamkeit (die Netzbelastung). Kleine Züge dürfen losfahren. Die Erinnerung ist da.

"Werden zwei Neurone wiederholt in Folge aktiviert, verstärken sich die Verbindungen zwischen ihnen in beide Richtungen" aus "Das Konnektom", Seite 76 von S.Seung

März 2009